Ausnahmezustand

Ausnahmezustand

29. November 2019 1 Von Janey

Vor genau 2 Jahren hat er bei uns begonnen, und ich meine gar nicht nur die negativ behaftete Variante davon. Meine Hormone, meine Gefühle, alles hat ins Positive, wie aber eben auch ins Negative ungeahnte Bereiche erreicht. Und doch ist es der negative Bereich, der mich auch nach 2 Jahren immer noch körperlich ans Ende bringt. Denn Besserung ist bei uns (noch) nicht wirklich in Sicht. Und die Reaktion meines Umfelds macht es nicht gerade leichter. Denn gerade, wenn der Zustand, diese Ausnahmen, bei uns keine sind, sondern normal. Eben auch nach 2 Jahren noch. Aber ich fange mal von vorne an.

Unser Kind ist das, welches immer strahlt und lacht. Und im Dorf die Grinsebacke genannt wird. Unser Kind ist aber auch das, welches schon immer von kleinsten Reizen überfordert war und nicht nur langsame, sondern sehr langsame Tage braucht. Mittlerweile weiß ich, dass sie hochsensibel ist, wie ihre Mutter, ihre Oma… Unser Kind ist das, was sich alles merkt und wissen möchte. Sie ist aber auch das Kind, welches noch nie länger als 60 Minuten alleine schlafen konnte. Im Dunkeln überhaupt nicht. Sie ist auch das Kind, welches in den guten Nächten nur 5 mal wach wird und stillen möchte, mit meinen Händen in ihren, auf eine ganz bestimmte Weise, sonst weint sie, tobt und wird richtig wach. In 3-4 Nächten die Woche wird sie alle 15-30 Minuten wach. Am Abend Aufstehen kam noch nie infrage, da ich gegen 23 Uhr und vom Einschlafbegleiten am Stock gehe und sie bei allen Versuchen nach 15 Minuten wieder wach war. Vor 2 Wochen gab es mal einige Tage, an denen ich vor ihr aufstehen konnte. Erst da begriff ich, wie anders mein Leben tatsächlich ist. Alleine aufs Klo gehen können, eine Tasse warmes Wasser und einen heißen Kaffee trinken können, 30 Minuten alleine mit sich sein, das kannte ich seit 2 Jahren nicht. Aber wenn früher Aufstehen zur Folge hat, dass das Kind zu früh wach wird und der Vormittag dann Höllenstimmung hat und der Mittagsschlaf deshalb nicht klappt… ja dann bleibe ich lieber mit fast platzender Blase liegen. Und Mittagsschlaf heißt bei uns, mit ihr im Bett liegen und dauernd Stillen oder 2 Stunde mit dem Wagen am Waldrand auf und ab laufen oder mit dem Kind in der Trage umherlaufen, egal ob Sommer oder Winter ist, mit dabei sind dann meine 3 Hunde. Mittagsschlaf heißt aber nie, das Kind schläft einfach irgendwo ein, weil es müde ist und ich habe verfügbare Zeit oder kann mich erholen.

Meinen Tiefpunkt hatte ich im Frühjahr, als ich schreiend und weinend mitten in der Nacht auf meinen Mann los gegangen bin. Er sollte hoch ins Schlafzimmer kommen und das Kind übernehmen, nachdem ich fast 14 Tage keinen richtigen Schlaf bekommen hatte. Er war schlaftrunken und funktionierte um 4 Uhr nicht so schnell, wie ich es gerne gehabt hätte. Ihm war auch nicht wirklich klar, in was für einer Notlage ich seit Tagen hing, denn er ist in der Arbeit wenn ich Aufstehe und ich gehe in die Arbeit wenn er wieder kommt, viel Austausch, wo Emotionen klar werden, gibt es nicht und mich kennt nur jeder unter „Die packt eh alles und macht alles alleine!“. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch, hörte mein Blut in den Ohren wie einen Presslufthammer, sah komische Lichter und hörte auch nicht mehr normal. Meine Ärztin wollte mich in der Früh in die Notaufnahme stecken, ich setzte meinen Willen durch und wollte weder das Kind im Stich lassen, noch Abstillen oder meine Kunden versetzen. Also nahm ich alles, was der Heilpflanzenmarkt her gab, ein wenig Rotwein, und lag einen Tag wach im Bett. Mein Mann übernahm ab dann die Abende und das Einschlafen und ich versteckte mich vor dem Kind, weil alles andere nicht klappte. Er hatte noch nie Chancen im Haus, und so lief er Wochenlang über Stunden mit dem Kind in der Trage durch die Nacht, bis ich wieder ein oder zwei Stunden am Stück schlafen konnte. Dann übernahm ich Lina die restliche Nacht. Seither gab es Phasen, in denen Papa und Trage gut klappten, und Phasen wo es gar nicht mehr ging und ich wieder im „Augen zu und durch“ Modus verweilte. Denn Konditionieren und in Form pressen kommt für mich nicht infrage. Nicht, solange ich noch leidensfähig bin.

Was mich die letzten 2 Jahre verändert hat, hat auch mein Umfeld verändert. Kaum jemand, der sich die Pandabäraugenfrau wertfrei anschaut. Ich bin die, die zum 9 Uhr Sportkurs immer erst ab 9.15 Uhr auftaucht, im Schlafanzug, abgehetzt, mit riesigen Augenringen und dem Kaffee in der Hand. Mit dem ältesten Kind im Kurs, was immer noch stillt und nicht schläft. „Da muss man dann halt auch mal an sich denken!“. „Wie lange willst Du das denn noch mitmachen?!“ Einfach Gespräche, wo Zuhören und Empathie die Ergebnisse sind wünscht man sich in solchen Zeiten sehr. Ich bin auch die, die schon zig Abstillversuche durch hat. Die, die ganz klar sagt: Mein Kind wird in dem Alter niemals Emotionslagen der Hölle wegen und mit mir erleben müssen. Sie wird begleitet. Und ich bestimme, was für uns ok ist. Und lasse da auch nicht mit mir reden. Ich möchte gar keine ungefragte Meinung oder gar Tipps bekommen. Ich weiß was ich tue und warum, weil ich mir Rat bei Fachpersonal hole. Und das bedeutet nicht, dass noch eine Familie es so machen muss wie wir. Aber wir machen es. Weil wir wir sind und es so wollen.

Einen Tipp möchte ich aber zum Ende geben: Pandabäraugenmütter brauchen keine Hilfsangebote, das hochsensible Kind abzunehmen. Das bedeutet in der Folge nämlich eine Folternacht und einen Höllentag als Ausgleich für das Kind. Das steht nicht in Relation. Das Kind übernehmen kann hier nur der arbeitende Papa. Die echte Hilfe heißt Einkaufen, Kochen, Hunde versorgen, Haushalt, Organisatorisches, Zuhören, in den Arm nehmen und ihr sagen, wie grandios sie ist.

Vielleicht liest das ja die ein oder andere gekränkte (frühere) Freundin, aber wenn man ums nackte Überleben kämpft, dann bleibt keine Zeit für anderes, es tut mir leid. Weil unsere ersten 2 Kinderjahre halt anders verliefen als bei der Normfamilie. Aber genau so, wie wir es mit unserem Wissen wollten, mit dem was uns da geschenkt wurde. Die größte Liebe meines Lebens, die gut ist wie sie ist und sein darf wie sie ist.